Ein Drumloop. Wieder und wieder. Immer derselbe Drumloop. Seit nunmehr 45 Minuten sitzt Clueso [Klüso] in seinem Studio im Erfurter Zughafen und hört sich die wenigen Sekunden Kick und Snare an. Die Saiten seiner Gitarre, die verlassen in der Ecke steht, schwingen nach, wenn der Bass einsetzt. Wieder und wieder. Sein Handy klingelt. Clueso wippt mit, schüttelt den Kopf, starrt auf den Bildschirm, hört angestrengt. Wieder und wieder. Was er sucht, das weiß er selbst nicht genau. Aber er wird es finden. Und wenn es Tage dauert. „Die Suche nach dem Stil wurde zum Stil an sich“, sagt er zwischen den Durchläufen. Kick, Snare. Und von vorne. Der Feinschliff zum Album läuft heiss, vermutlich ist mittlerweile auch die Mailbox rangegangen.
Es ist die Besessenheit des 27-jährigen Thüringers, die Leidenschaft und Perfektion, die Clueso antreibt. Es sind diese Eigenschaften, die sich auch in seiner Musik widerspiegeln - angefangen mit „Text und Ton“ (2001) über „Gute Musik“ (2004) bis zum letzten Streich „weit weg“ (2006), das mit Platz 12 der LP-Charts alle Erwartungen übertraf.
Nach unzähligen Konzerten auf den Bühnen der Clubs und Festivalwiesen spielte Clueso mit seiner Band 2004 erstmals in grossen Hallen im Vorprogramm der Fantastischen Vier (Viel Unterwegs Tour). Zuletzt wurde er sogar als Special Guest vom vielleicht größten und besten deutschen Songwriter Herbert Grönemeyer eingeladen. Auf dessen „12“ Stadiontour trat Clueso in den Arenen vor knapp einer Million Menschen auf. Clueso hat es schon weit gebracht. Aber es geht noch weiter.
„Ich weiß, dass „So sehr dabei“ eine große Chance für mich ist, nachdem mich so viele Menschen auf der Grönemeyer-Tour gesehen haben. Aber davon kann und darf ich mich nicht beeinflussen lassen. Ich will kein perfektes Album abliefern. Ich will ein Clueso-Album abliefern. Wir haben immer die Aufnahme genommen, die lebendiger, nicht die, die perfekt war. Es durfte, ja es sollte ruhig stolpern.“
Ein Widerspruch zu seiner Arbeitsweise? Nicht im Geringsten. Denn Perfektion ist laut Clueso nicht dann erreicht, wenn ein keimfreies, standardisiertes und fehlerfreies Werk entsteht. Der Schwerpunkt in Cluesos Musik liegt auf dem Transport von Gefühlen. Stilprägend ist dabei die Wahl der Mittel, das Zusammenspiel von Musik und Texten, nicht vordergründig die Technik.
Die Entstehung von „So sehr dabei“ war eher ein Prozess als eine Produktion, der Weg zum Ziel; ein kompaktes Album aufzunehmen führte Clueso und seine Band zunächst in eine abgelegene Hütte im heimatlichen Thüringer Wald. Mit den aufgenommenen Songskizzen im Gepäck führte er die Band zusammen mit Ralf Christian Mayer in eine spanische Finca, in der Nähe von Barcelona. Mayer, der schon die beiden vorangegangenen Alben abmischte, gelang es, den dynamischen Bandsound für die Platte zu bündeln.
Auf „So sehr dabei“ lässt Clueso der Musik viel Raum: lange Instrumentalteile machen aus Tracks Songs, die sich dem klassischen Paradigma moderner Popmusik „Intro-Strophe-Chorus“ widersetzen. Das geschieht ebenso selbstverständlich wie unkonventionell. Ein Reggaerhythmus wird vom Offbeat befreit, gerade gerückt und Dur wird zu Moll (Niemals so sein wie Du). Der Song vom „Gewinner“ kommt beinahe gänzlich ohne Bassschläge aus und handelt vom Verlieren. Clueso ist sich seiner Möglichkeiten bewusst und nutzt sie.
„Wir haben eine viel längere Musikgeschichte, aus der wir uns bedienen können, als Bands zu Beatles Zeiten. Die mussten auf 4 Spuren kreativ sein. Wir haben unendliche technische Möglichkeiten und dazu den Erfahrungsschatz aus mehreren Jahrzehnten Popmusik. Pop muss auch fordern. Das fordert mich, kreativ zu sein. Ich will klingen wie Jetzt und etwas von Damals mitnehmen. Musikalisch und textlich.“
Sich in Cluesos Texten nicht wiederzufinden ist nahezu unmöglich. Sie handeln von der Größe der kleinen Dinge, vom Stadion im Menschen. Sie sind, wie die Musik, mal laut, mal leise. Mal nachdenklich, mal vorlaut. Clueso spricht sehr intim über Erfahrungen in seinem Leben und lässt dem Zuhörer dabei genug Freiraum und Interpretationsflächen.
Die meisten Textskizzen entstanden in Görlitz, wohin Clueso sich mit Baris Aladag (Regisseur und massgeblicher Ideengeber der Live DVD und der letzten Videoclips) für einige Wochen zum Schreiben zurückzog.
„Geisterstadt“, die Homage an Görlitz, lebt nicht nur von der Dissonanz einer falsch gestimmten Gitarre. Der Song drückt stellvertretend das Lebensgefühl einer Region aus, die nicht nur vom materiellen Verfall bedroht ist. Zukunftsangst ist auch das zentrale Thema in „Utopie“. Clueso nimmt sich nicht nur die Zeit, den Hörer zu fordern. Er zeigt vielmehr ferne und nahe liegende Zusammenhänge auf, beschreibt Wege und die andauernde Suche nach dem Unbekannten. Dabei verweigert er einfache Lösungen ebenso wie er sie ganz nebenbei hinwirft.
„Mitnehm’“, der mitreissende, vor Tatendrang strotzende Song ist über jeden Zweifel erhaben. Das Bekenntnis, nicht zu wissen, was passiert, strahlt dagegen eine meditative Ruhe aus („Schreibe dir“), wohingegen für Clueso ein richtiger Sommerhit selbstverständlich in den nicht nasskalten Winter („Wir woll’n Sommer“) gehört.
„Ich bin ein großer Freund von Aphorismen. Diese Weisheiten werden schnell übersehen, weil man sie schon so oft gehört hat. So ist es mit dem Alltag auch. Jeder kennt ihn, und dabei werden die schönsten Dinge vergessen: Die kleinen Momente, in denen gar nichts passiert.“
Die Kunst in Cluesos Musik besteht im Kontext. Eindeutigkeit fällt aus. Vieldeutigkeit hingegen fällt auf.
„So sehr dabei“ lässt am Ende fast keinen Zentimeter zwischen sich und seinen Hörern. Clueso will die Zuhörer mitnehmen - jetzt liegt es an ihnen, so sehr dabei zu sein.
1. Barfuss |
2. Augen zu |
3. Niemand an dich denkt |
4. Wir wolln Sommer |
5. Geisterstadt |
6. Mitnehm |
7. Gewinner |
8. Schreibe dir |
9. Keinen Zentimeter |
10. So sein wie du |
11. Utopie |
12. Verlierer |
13. Pause |
14. Jede Stadt |
15. So sehr dabei |
16. Abspann (Weck sie nicht auf) |
1 Kommentar:
weil gute musik schliesslich immer flasht, oder ;)
the edge
Kommentar veröffentlichen